MARIA
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MEINE ZEIT IN INDIEN

SOMMER 2016

Am 15. August 2016 begann mit dem Flug von Frankfurt über Delhi nach Chennai meine Zeit in Indien – insgesamt acht erfahrungs- und erlebnisreiche Wochen, die ich sicher nicht vergessen werde.

Ziemlich erschöpft von der langen Reise, wurde ich am Flughafen in Chennai von Samantham, dem Leiter des Kinderhauses Enga Veedu, und Geerdi, einer super netten Holländerin, die vor einiger Zeit länger in Indien war und nun für zwei Wochen dort zu Besuch war, abgeholt. Zwar wusste ich bereits, dass das Wetter, gerade im August, eine ziemliche Umstellung für mich werden würde, war aber doch erstaunt, WIE heiß und schwül sich knapp 40°C mit einer unglaublich hohen Luftfeuchtigkeit dann doch anfühlen. Von Chennai aus fuhren wir dann mit dem Taxi ungefähr vier Stunden bis zum Kinderhaus, das 8km nördlich von Pondicherry liegt, einer sehr schönen Stadt mit halb indischem, halb französischem Flair, ebenfalls direkt am Meer gelegen. Die Fahrt war – vor allem im Rückblick betrachtet – sehr angenehm (zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass das die mit Abstand komfortabelste Fahrt sein sollte, die ich in den nächsten acht Wochen erleben würde). Gerdi nutze die vier Stunden, um mir schon einmal die wichtigsten Verhaltensregeln und Tipps zu geben und ich versuchte mich aus dem vergleichsweise geschützten Raum im Taxi schon mal an das Straßenbild zu gewöhnen. Mein erster Eindruck aus dem Taxi heraus war „Es sieht ja wirklich genau so aus, wie in jeder klischeehaften Indien-Doku!“ Obwohl ich also nicht sagen kann, dass ich etwas anderes erwartet hätte, oder mich der laute, bunte Trubel irgendwie überrascht hätte, ist es natürlich doch ein anderes Gefühl, wirklich vor Ort in einem Auto zu sitzen, das auf dem Weg mindestens 20 Beinahe-Unfälle auf für mich absolut rätselhafte Weise schadlos übersteht und immer wieder abrupt abbremsen muss, weil eine heilige Kuh gemächlich mitten über die Straße trottet.

 

Beim Enga Veedu angekommen bildete sich sofort eine Traube von Kindern um das Taxi, noch bevor wir überhaupt die Türen geöffnet hatten, und ich wurde direkt sehr herzlich als „Anti“, das tamilische Wort für Tante, begrüßt und in den nächsten Wochen auch nicht mehr anders genannt.
Als Gerdi mir beim ersten Abendessen versuchte zu zeigen, wie man im Schneidersitz auf dem Boden sitzend Reis mit Soße nur mit den Fingern am wenigsten unelegant essen kann, hätte ich nie gedacht, wie schnell ich mich daran gewöhnen würde und dass ich schon ein paar Tage später gar nicht mehr darüber nachdenken würde, welche Hand zum Essen die richtige sei. Ehrlicherweise glaube ich aber, dass ich den Kindern beim Essen trotzdem noch oft genug Anlass zum Amüsieren gegeben habe – sei es, weil ich immer erst ein paar Minuten warten musste, bis das Essen nicht mehr so heiß war, dass meine Finger verbrannten (die Kinder hatten damit scheinbar überhaupt kein Problem), oder weil ich nach dem Aufstehen erst einmal kaum laufen konnte, weil mir das ewige Sitzen im Schneidersitz auch nach Wochen noch ziemlich weh tat.

 

Doch nicht nur an das Essen, sondern auch an den Alltag habe ich mich schnell gewöhnt. Beeindruckt hat mich dabei vor allem, mit welcher Selbstverständlichkeit das doch ziemlich straffe Tagesprogramm durchgezogen wurde und wie jedes Kind seinen Platz darin fand und zu einem sehr großen Teil ohne Aufforderung eigenverantwortlich seine eigene Wäsche wusch, Hausaufgaben erledigte, für Tests lernte und Aufgaben im Haushalt übernahm.

 

Für mich fing der Tag meistens um 5 Uhr an: Aufstehen, Duschen und dann in der Morgendämmerung bei einer Tasse Tee Gemüse schneiden: „Cut, cut, cut! Small, small, small!“ waren wohl die Worte, die ich mit Abstand am häufigsten gehört habe. Manchmal durfte ich auch später aufstehen, vor allem am Wochenende, wenn die Kinder keine Schule hatten und dann selbst für das morgendliche Schnippeln verantwortlich waren. Trotz der frühen Uhrzeit war das Gemüseschneiden aber ein ziemlich schöner und entspannter Start in den Tag, auch wenn ich mir dabei meiner Rolle als Lieblingsopfer der Moskitos immer wieder schmerzlich bewusst wurde (besonders schön sind Stiche unter der Fußsohle, kann ich aus mehrfacher Erfahrung berichten).

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