JULIAN
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ÜBER MEINE ZEIT IN INDIEN

mit conAct.eV

Hallo ich bin Julian, 20 Jahre alt und komme aus Münster.

Vom 01.Oktober 2015 bis zum 31. Januar 2016 durfte ich über ConAct ein Praktikum in der Entwicklungshilfe in den Einrichtungen des Vereins in Indien absolvieren. In Indien hatte ich wirklich eine unglaublich schöne und erfahrungsreiche Zeit.

Zwischen meinem Abitur und dem Studium hatte ich etwas Zeit die ich gerne sinnvoll nutzen wollte. Mit einem Auslandsaufenhalt nach dem Abi hatte ich schon länger geliebäugelt. Über meinen ehemaligen Schulleiter lernte ich Thiru und den Vorstand von ConAct kennen. Nach einem Vorstellungsgespräch in sehr netter Runde erhielt ich von Thiru das „OK“ und einige Wochen später saß ich als Praktikant für ConAct mit Sören aus dem Vorstand im Flieger Nach Chennai in Indien.

„Incredible India“ - Das war, die Aufschrift auf einem Bus direkt vor dem Flughafen in Chennai, einer der Eindrücke, die mir besonders prägnant im Kopf geblieben sind. Ich ahnte schon, dass Indien wohl wirklich sehr unglaublich auf mich wirken würde. Beim verlassen der Empfangshalle wurde ich von der Hitze schier umgehauen, dazu kahmen dröhnende motoren, Hupen in allen Varianten von allen edenklichen Fahrzeugtypen auf den Straßen Chennais, sowie das Geschrei der Taxi- und Ato-(Rikscha)Fahrer.

Sören und ich fuhren dann mit einem Taxi von Chennai nach Pondycherri zum Enga Veedu. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie mir der indische Verkehr dann letztendlich den Rest gab. Vollkommen im Jetlag und sowieso schon total überwältigt von den oben angedeuteten Eindrücken, war die Teilnahme am indischen Straßenverkehr, wenn auch nur als Beifahrer eines klapprigen Taxis, wirklich das highlight meiner Anreise. Ich hatte ja schon eine gewisse Vorsstellung der Verkehrssituation auf den Straßen Indiens – ABER DASS... Alles fuhr kreuz und quer, hupende Fahrzeuge, dröhnende Motoren, stinkende Abgase, fluchende Tamilen und dazwischen lauter Kühe und Tausende Straßenhunde.

Bei unserer Ankunft im Enga Veedu war ich so dermaßen erschöpft, dass ich kaum noch ein Wort mit Usha, Sampandam, oder Valli –dem Team des Enga Veedu- wechseln konnte.

In meinen ersten Tagen im Veedu baute ich meine „Beziehung“ zu den Kindern im Heim auf. Was wirklich nicht schwer war. Nach den ersten 20 Minuten des Kennelernens hatte ich schon die ersten auf dem Schoß, den Schultern, den Armen, auf dem Rücken... wenn ich da eins gelernt habe, dann dass ich mich offensichtlich hervorragend als Klettergerüst eigne. Die Kinder im Veedu sind wirklich einfach nur Toll, eine richtige Rasselbande. Ich war wirklich extrem beeindruckt mit welcher Disziplin die Jungs und Mädels im Veedu durch Ihren Alltag gehen. Morgens um sechs stehen sie alle auf dann helfen die einen schon in der Küche während die anderen schon die ersten Schularbeiten für den Tag Erledigen. Die Mädchen machten sich gegenseitig die Haare, alle trugen zwei geflochtene Zöpfe links und rechts, welche mit Bändern wie zwei schleifen am Kopf befestigt wurden. Dass sah schon immer sehr herausgeputzt aus. In ihren Schuluniformen und dann auch noch alle mit „haargenau“ der selben Frisur waren sie für mich in den ersten Tagen kaum von einander zu unterscheiden – und ich hatte sowieso schon solche Probleme mir all die tamilischen Namen zu merken.

Daraus hatten sich vor allem die Kleinen einen Spaß gemacht, jeden Tag kamen sie gruppenweise zu mir und fragten mich „what is my name?“. Nichtsdestotrotz lernte ich auf diese Weise die Namen recht schnell.

Mich nannten sie nach einiger Zeit JulianAnna, was frei übersetzt soviel bedeutet wie Bruder Julian.

Wenn die Kinder nachmittags so gegen 16:00 Uhr aus der Schule zurückkamen, gab es immer einen kleinen Snack von Usha und dann ging es auch schon ans Wäschewaschen. Jedes Kind wäscht seine Schuluniform jeden Tag, was in Indien meistens noch echte Handarbeit ist. Das galt selstverständlich auch für mich. Beim skypen mit meine Freunden und meiner Familie zu Hause zeigte ich oft den Plastikeimer im Waschraum und witzelte: „dass ist meine Dusche und meine Waschmaschiene.“ .

Wenn die Kinder ihre Wäsche fertig hatten und diese in der indischen Hitze zum Trocknen hing, hatten sie häufig nur noch eine knappe Stunde Freizeit zum spielen bevor die „tuition-miss“ - die Nachhilfelehrerin für den Nachmittagsunterricht im Veedu kam. Der ging dann so bis 19.00 uhr jeden Tag. Danach ging es für einige der Kinder wieder in die Küche zum helfen, während andere sich noch an Ihre Hausaufgaben machten. Wie gesagt, von der Disziplin die die Kleinen an den Tag legten bin ich extrem beeindruckt, da kann sich so mancher gleichaltriger Deutscher mal eine gewaltige Scheibe abschneiden.

Ich bin ehrlich gesagt sehr froh, dass so viele Leute aus dem ConAct – Vorstand in den ersten Wochen noch mit dabei waren. Auf diese Weise konnte ich viele wichtige Dinge, wie das richtige Verhalten beim Essen und auch im sonstigen Alltag sehr schnell erlernen und wahrscheinlich das ein oder andere interkulturelle Fettnäppfchen sicher umschiffen.

In meinen ersten Wochen in Indien fuhren wir auch noch zu den anderen Projekten von ConAct. In Thrichy besuchten wir das Blinden-,Behinderten- und Kinderheim Loubra, welches von ConAct Siegen unterstützt wird. Und wieder einmal wahr ich komplett von den Socken (hätte ich jemals welche angehabt in Indien).

Das Loubra ist schon ein sehr besonderes Projekt, es ist unterteilt in das Haupthaus in welchem die blinden und behinderten Menschen untergebracht sind und das Kinderhaus. Es war so unglaublich rührend anzusehen wie alle in diesem Projekt funktioniert. Jeder der ungefähr 100 Menschen die dort leben kommt auf seine Kosten. Mir ist besonders im Kopf geblieben wie die Blinden, immer dann wenn es Essen gab, in Ketten Hand an Schulter aus allen edenklichen Ecken des Loubra hervorkamen und so jeder seinen Platz fand. Geholfen wird sich dort! Die Kinder wuseln tagsüber zwischen den Blinden herum und helfen auch immer da wo sie können. So sind sie zum Beispiel nicht zimperlich den Blinden Opi an der Hand zu nehmen und ihn zum Treppengeländer zu ziehen, wo er sich dann seinen sicheren Weg nach oben ins Haus ertasten kann. Das sind wieder solche Bilder die mir sehr deutlich im Kopf Geblieben sind. Aber am meisten beeindruckt war ich von Thomas, dem Chef des Loubra. Selber gehbehindert und Blind schmeißt er da den ganzen Laden. Die ganze Zeit ist er unterwegs im Haus und prüft dass alles seine richtigkeit hat. Er kümmert sich tatsächlich um einen riesen Teil der organisatorischen Aufgaben rund um das Loubra. Inklusive der Finanzen und dem damit verbundenen Zählen der Geldscheine – bis heute ist es mir ein Rätsel wie er das macht !

Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Situation mit Thomas, als ich später noch einmal mit Anna einer weiteren ConAct – Praktikantin im Loubra war und Thomas nach einiger Zeit und mehreren Gesprächen ganz beiläufig zu Anna meinte: „by the way Anna, I´m blind“ – diese Situation sprach doch schon sehr für sich.

Zurück im Enga Veedu begann ich nach einer etwa dreiwöchigen Eingewöhnungszeit in einer benachbarten Schule ein paar Unterrichtsstunden zu übernehmen. Die Sri Ragavendra School wird unter anderem auch durch ConAct unterstützt. Dort habe ich in erster Linie Englisch für den Alltag ind Klassen 5 bis 7 unterrichtet. Auch wenn Englisch zu den National- und Verkehrssprachen Indiens gehört, können leider viele Tamilen nicht wirklich in dieser Sprache längere Konversationen führen, da sie von Haus aus nur Tamil, also die Sprache Tamil Nadus sprechen. Die Tamilischen Kinder auf Englisch in Englisch zu unterrichten hat mich wirklich vor einige Herrausvorderungen gestellt. Allerdings hat der Unterricht großen Spaß gemacht und ich habe sicherlich einiges über Konverstion mit Händen und Füßen gelernt. Den Kindern scheint es auch großen Spaß gemacht zu haben. Sie waren eigentlich immer voll bei der Sache. Tatsächlich konnten sie Gelerntes sehr schnell umsetzen, zum ende eines jeden Themas malten sie Bilder über das gelernte und stellten Diese dann im Sitzkreis vor - Selbstverständlich auf Englisch!

Etwas ähnliches habe ich auch mit den Kindern des Enga Veedu probiert. Usha bat mich darum einigen der Jüngeren noch etwas Nachhilfe in Englisch zu geben. Dass bedeutete also zu dem ohnenhin schon total vollgepackten Tag, noch eine weitere Nachhilfeeinheit bei JulianAnna am Abend. Wir gestalteten dass dann eher spielerisch und versuchten im Spiel gespräche zu führen und so konversation auf Englisch zu üben. Das hat auch mehr oder weniger geklappt, aber ehrlich gesagt hätte ich an Stelle der Kinder am Abend auch überhaupt keine Lust auf noch mehr Englisch gehabt. Aber wie bereits angedeutet haben die kinder wirklich eine unheimlich beeindruckende Arbeitseinstellung und so meisterten sie auch diese letzte Lerneinheit am Abend.

Da die Kinder nunmal, wie bereits erwähnt, unter der Woche (und die Älteren auch am Wochenende) einen ziemlich engen Zeitplan hatten, vielen meine Aktivitäten mit ihnen an Wochentagen leider etwas mager aus. Ich versuchte ihnen so gut es ging bei den Hausaufgaben zu helfen und kleine spiele in ihrer kurzen Freizeit zu spielen. Sonntags war immer etwas mehr Zeit, so hatten wir Zeit für das ein oder andere Völkerballspiel – ein Spiel welches die Kinder übrigens in Perfektion beherrschen, ich sah häufig ziemlich alt aus beim Völkerball und stand die meiste zeit am Rand.

Mit Thiru hatte ich vereinbart den Kindern, die es noch nicht beherrschten, das Fahrradfahren zu üben. Das klappte vor allem mit Anna, welche im Oktober zu mir stieß, besonders gut. Im Enga Veedu standen uns zwei Fahrräder zur Verfügung großes und ein kleines.

So konnten wir die Kinder in zwei Gruppen einteilen und auf diese Weise sehr erfolgreich mit ihnen üben. Tatsächlich fahren jetzt fast alle von Ihnen frei Fahrrad.

Bei diesen Fahrübungen ist mir erst richtig klar geworden, wie schwierig es sein kann die ganze Rasselbande unter Kontrolle zu halten. Natürlich wollte jeder als erstes, und so oft wie möglich Fahrradfahren. Da habe ich schon so einiges über den Umgang mit Kindergruppen gelernt! Ich war sehr dankbar dass Anna mir zur Seite stand  und ich so nur die Hälfte der Kinder im Auge haben musste.

Überhaupt war der gesamte Aufenthalt im Enga Veedu wie auch im Loubra extrem lehrreich für mich. Man lernt doch sehr schnell wie wichtig manche weniger wesentliche Dinge sind, und auf welche Sachen, Wie beispielsweise eine Waschmaschine, Essbesteck, Bergen an Klamotten und theoretisch sogar Bettmatratzen, man tatsächlich verzichten könnte. 

Man nimmt sich selbst und auch seine Bedürfnisse doch sehr zurück, wenn man sieht wie gut es auch anders klappt. Ich habe auf meiner Reise durch Indien auf jeden Fall gelernt wie sehr ich unser sauberes, ordentliches und organisiertes Europa schätzen kann. ConAct bringt einen Teil dieser europäischen Ordnung nach Indien, ohne dabei der indischen Kultur und indischen wie tamilischen Gepflogenheiten zu nahe zu kommen. Auch wenn es für mich manchmal schwierig war, mit dieser sehr anderen indischen Ordnung zu recht zu kommen habe ich definitiv unglaublich wertvolle und nachhaltige kulturelle Eindrücke für mich selbst wieder mit nach Hause gebracht.
Durch meinen Aufenthalt in Indien habe ich viele kommunikative wie soziale Fähigkeiten dazu gewonnen.

Ich bin den ConAct Vorständen in Deutschland und Indien, sowie dem Team des Enga Veedu und vor allem den Kindern extrem dankbar, dass ich diese Erfahrungen machen durfte. Tatsächlich ist es sehr schwierig in Worte zu fassen wie mich meine Reise durch Indien geprägt hat. Wenn mich jemand fragt wie es denn gewesen sei, sage ich immer, es waren positive wie negative Eindrücke auf wirklich allen Ebenen meines persönlichen Seins. Ich habe fest vor eines Tages wieder nach Tamil Nadu zu reisen! 

 

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